Heterosexualität, die | heterosexuell (Adj.)
Heterosexualität gilt als normal und natürlich. Dabei gibt es das Konzept von Heterosexualität im heutigen Verständnis noch gar nicht so lang.
Heterosexualität beschreibt eine sexuelle Orientierung in der sich Personen primär oder ausschließlich dem anderen Geschlecht hingezogen fühlt. Dahinter liegt ein allgemeines Verständnis, dass Frauen sich zu Männern hingezogen fühlen und umgekehrt. Voraussetzung für dieses Verständnis ist eine ⇒ binäre Geschlechterordnung. Dabei ist Heterosexualität als Konzept zu unterscheiden vom sexuellen Akt der Reproduktion. Heterosexualität als identitäre Zuschreibung gibt es erst seit den späten 1860er Jahren. Der Begriff wurde vom österreichisch-ungarischen Journalisten Karl Maria Kertbeny im Kontext von Schriften gegen homophobe Gesetze des preußischen Staates verwendet. Erst zu dieser Zeit begann die Unterscheidung zwischen homo- und heterosexuellen Menschen (Ambrosino 2017). Zuvor waren sexuelle Handlungen nur ein Akt, der unterschieden wurde in zur Reproduktion beitragend oder nicht. Im christlichen Glauben galt gleichgeschlechtlicher Sex oder Masturbation bereits als verboten, da beides nicht zur Reproduktion beiträgt (Blank 2012).
Erst nach Einführung der Begriffe entstand eine gesellschaftliche Normierung im heutigen Verständnis. Durch Psychologen wie Richard von Krafft-Ebing oder Sigmund Freud wurde Heterosexualität als Norm festgeschrieben (Ambrosino 2017). Krafft-Ebing beschrieb im Jahre 1886 in seinem Buch „Psychopathia sexualis“ Homosexualität erstmals als etwas Abnormales. Geprägt durch christliche Grundsätze, kategorisierte er alle sexuellen Handlungen, die nicht der Reproduktion dienen, als Perversion (Ambrosino 2017). Während im 20. Jahrhundert nach wissenschaftlichen Belegen gesucht wurde, warum Menschen homosexuell sind, wurde Heterosexualität als gegeben und natürlich akzeptiert. Einen wissenschaftlichen Beleg, warum Menschen homo- oder heterosexuell sind, gibt es nicht (Blank 2012).
Die heutigen Vorstellungen von Homo- und Heterosexualität entstand also erst im 19. Jahrhundert im europäischen Raum.
Die Konzepte von Heterosexualität, Natürlichkeit und Zweigeschlechtlichkeit spielten auch in der Kolonialherrschaft eine Rolle. Queeres Leben wurde in vielen Ländern durch die europäischen Kolonialmächte kriminalisiert, verfolgt und ermordet. Beispiele finden sich in Indien, Pakistan, Bangladesch, Namibia, Nigeria und der indigenen Völkern Nordamerikas, wo Personen, die sich nicht als „männlich“ oder „weiblich“ identifizieren, von den Kolonialmächten entrechtet und bestraft wurden (Al Nakeeb 2021). Gleichzeitig wurden sie stigmatisiert, indem ihre „präkolonialen Narrative“ (ebd.:23) ausgelöscht und durch abwertende Zuschreibungen ersetzt wurden. Auch in Chinas Geschichte findet sich eine große Verbreitung von Homosexualität, die sich bis zur Bronze-Zeit zurückverfolgen lässt. Kolonialisten werteten dies jedoch als eine Perversion und als etwas Unnatürliches (Hinsch 1992). Die Stigmatisierung und Kriminalisierung von queeren BIPoCs ist auch ein Vermächtnis der Kolonialzeit. Die Auswirkungen lassen sich heute noch in Form von queerfeindlichen Gesetzen in den ehemals kolonialisierten Ländern finden. Aber auch der europäische Blick auf diese Länder trägt das Erbe der Kolonialzeit. Da ihre queere Geschichte unsichtbar ist, wird angenommen, dass queeres Leben nie akzeptiert war und sie sich dahingehend „weiterentwickeln“ müssten (Al Nakeeb 2021).
Quellen
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Al Nakeeb, Dahlia (2021): "Vom kolonialen Wahn der Genderbinarität und Queerfeindlichkeit." In: Warrach, Nora (Hrsg.), Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten in der Migrationsgesellschaft. Düsseldorf: IDA, 21-24.
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Ambrosino, Brandon (2017): "The Invention of ‘Heterosexuality." BBC Future, letzter Zugriff 10.07.2022.
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Blank, Hanne (2012): Straight: The Surprisingly Short History of Heterosexuality. Boston: Beacon Press.
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Hinsch, Bret (1992): Passions of the Cut Sleeve: The Male Homosexual Tradition in China. Oakland: University of California Press.
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