„LÖSCH DICH DOCH!“ - #hatespeech im Netz
Bibliotheksleiter Joachim Kreische freute sich in seiner kurzen Begrüßungsrede darüber, dass es wieder gelungen ist, mit dem Format ein spannendes und vor allem hochaktuelles Thema aufzugreifen. Auch die zentrale Gleichstellungsbeauftragte, Martina Stackelbeck betonte in ihren einleitenden Worten, dass ein Diskurs über Hass und Diskriminierung im Internet derzeit besonders relevant und notwendig ist.
Wissenschaftlicher Input zu Formen und Effekten von Hate Speech im Netz
Die Wissenschaftlerin Dr. Jennifer Eickelmann eröffnete den inhaltlichen Teil der Veranstaltung mit ihrem Vortrag über Erscheinungsformen, Effekte und Herausforderungen von „Hate Speech“ und Gender im digitalen Zeitalter. Sie präsentierte einen Überblick über die Gestalten von „Hate Speech“, die sich durch das Medium Internet rasant vervielfältigt haben. Anhand einiger Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, die sie in ihrer Dissertation zum Thema analysiert hat, beleuchtete Jennifer Eickelmann die netzspezifischen Artikulationen von Hassrede. Dabei stellte sie auch fest, dass Aktivitäten, die konventionelle Geschlechtsentwürfe herausfordern, besonders häufig und schonungslos attackiert werden. Am Beispiel der feministischen Medienkritikerin und Videobloggerin Anita Sarkeesian verdeutlichte Jennifer Eickelmann die Brutalität und Mannigfaltigkeit der Erscheinungsformen, in denen sich die Herabwürdigung von Menschen oder Menschengruppen in Online-Netzwerken zeigt.
Die Medienwissenschaftlerin und Soziologin brachte die Frage auf, welche Effekte Hassrede im Internet haben kann. Sie stellte fest, dass es sich dabei um einen machtvollen Akt handelt, der einschränken und destruktiv wirksam sein kann. Doch handelt es sich nach ihrer Meinung nicht immer um einen Gewaltakt, der Handlungsmöglichkeiten abschneidet. Vielmehr ist die Bedeutung von Adressierungen veränderbar und widerständige Praktiken sind möglich. So stellte die Bloggerin Sarkeesian beispielsweise die Hasskommentare, die sich gegen ihre Person richteten, auf ihrer eigenen Website aus. Durch diesen Akt der Aneignung sind die Kommentare keine Schmähung mehr, sondern ein Beweis für die Schmähung. Durch das Sichtbarmachen und die Dokumentation der Hassrede kommt es zu einer Umlenkung, die „Opfer“ sind nicht länger machtlos sondern wieder handlungsfähig. Jennifer Eickelmanns durchaus radikaler Aufruf lautet, Hassrede „von den ‚Opfern‘ aus“ zu analysieren. Es könne nicht darum gehen, was die Sender*innen sich bei ihren Hasskommentaren „gedacht“ haben. Vielmehr müsse studiert werden, was die Hassrede bei ihren Empfänger*innen auslöst – und wie diese mit ihr umgehen.
Tarik Tesfu über persönliche Erfahrungen und den Umgang mit Hassbotschaften
In einem kreativen Vortrag präsentierte Aktivist und Video-Blogger Tarik Tesfu seinen persönlichen Zugang zum Thema. Auf seinem YouTube-Kanal „Tariks Genderkrise“ nimmt Tesfu das Themenspektrum der Gender Studies mal humorvoll, mal wütend, mal sarkastisch unter die Lupe. Durch die Inhalte und den Stil seiner Videos macht sich Tarik Tesfu zu einer besonders beliebten Angriffsfläche für Hassbotschaften und Verunglimpfungen. Eindrücklich schilderte er seine Erfahrungen damit und stellte einige erschreckende Beispiele vor. Die Angriffe gegen Tarik Tesfu gipfelten zuletzt in einem groß angelegten Hack. Dabei wurden seine Social Media-Kanäle gelöscht und zahlreiche persönliche Daten gelangten ins Internet. Tesfu erklärte, dass ihn der Hack zwar stark verunsichert hat, vor körperlichen Angriffen habe er aber nie Angst gehabt: „Irgendwie wusste ich, die kommen nicht zu mir nach Hause. Aber wieder ins Internet zu gehen und mich online frei zu bewegen, das ist mir anfangs sehr schwer gefallen.“
Tarik Tesfu entschied sich letztlich dafür, seine Arbeit fortzusetzen. Er erwirkte die Wiederherstellung seiner Kanäle auf Youtube, Facebook und Instagram. Auf humorvolle Art verarbeitete er seine Erfahrung mit „Hate Speech“ in einem Video, welches er seinen „Hatern“ widmete. Wie zuvor von Jennifer Eickelmann beschrieben, entschied auch er, sich die Kommentare anzueignen, die gegen ihn geschrieben wurden. In fröhlich sarkastischer Manier schmeißt er sie seinen „Hatern“ zurück vor die Füße und sagt damit: „Ihr seid wirklich zum Heulen“ und ich mach „einfach rotzfrech weiter“.
Was ist gemeint, was kommt an und worum muss es gehen?
Im Anschluss an die Vorträge bat Helena Hartlieb, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Gleichstellungsbüro und Organisatorin von ››SOWOHL ALS AUCH‹‹, die Gäste zu einer offenen Diskussion mit dem Publikum. Hier ging es zunächst um die Frage, was Hassrede von einer Beleidigung unterscheidet. Tarik Tesfu hatte hierfür eine einfache Erläuterung: „Wenn mich jemand einen Wichser nennt, dann ist das eine Beleidigung und damit kann ich umgehen. Wenn aber jemand sagt: ‚Du bist ein Arschloch, weil du schwarz/schwul/Mann/Frau/anders bist, dann ist das Hate Speech und das ist für mich inakzeptabel.“ Diskutiert wurde auch die Frage nach dem Sinn und Nutzen des neuen „Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“, das 2017 vom Bundestag verabschiedet wurde. Jennifer Eickelmann, die für eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen netzbasierter Hassrede plädiert, sieht in der Durchsetzung des Gesetzes vor allem das praktische Problem, dass problematische Beiträge sofort gelöscht werden und somit nicht mehr für eine Analyse greifbar sind. Kontrovers diskutiert wurde die Frage nach der Adressierung und dem Effekt eines Kommentars im Internet.
››SOWOHL ALS AUCH‹‹ ist eine Veranstaltungsreihe des Gleichstellungsbüros, welche sowohl das Augenmerk auf die Frauen- und Geschlechterforschung an der TU Dortmund richtet als auch aktuelle Diskurse innerhalb gleichstellungsorientierter Bewegungen aufnimmt. Das Format setzt an aktuellen gesellschaftlichen Debatten an und bringt sie mit wissenschaftlichen Fragestellungen zusammen.